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Formel Null, Teil 2: der Beschleunigungsstreifen... (2.Jan.2009)

Als Beschleunigungsstreifen oder Einfädelungsstreifen (fachsprachlich veraltet auch Beschleunigungsspur) wird die Auffahrt auf eine Schnellstraße (z. B. Autobahn) bezeichnet. Der Beschleunigungsstreifen dient dazu, den neu auf die Schnellstraße auffahrenden Verkehrsteilnehmern die Möglichkeit zu geben, noch vor dem endgültigen Auffahren auf die Hauptfahrbahn ungefähr dieselbe Geschwindigkeit wie der fließende Verkehr zu erzielen, so dass sie sich möglichst gefahrlos in den Verkehrsstrom eingliedern können. Auf Beschleunigungsstreifen gilt die Besonderheit, dass hier ausnahmsweise auch das Rechtsüberholen der links fahrenden Fahrzeuge erlaubt ist. (Quelle: de.wikipedia.org)

Okay ... soweit also die Theorie. Die Praxis sieht, wie so oft, anders aus.

Lassen wir uns doch einmal folgenden Teilsatz auf der Zunge zergehen: "ungefähr dieselbe Geschwindigkeit wie der fließende Verkehr". Das operative Wort ist hier "ungefähr", mit einem Schätzfaktor von minus 100 bis plus 53 Prozent.

Im täglichen Formel Null Betrieb spielt sich das zumeist so ab: ein Wagen fährt mit halbwegs angemessener Geschwindigkeit die Auffahrt hinauf oder herab und erreicht am Ende des mehr oder weniger engen Viertelkreises eine Stelle, an der der Asphalt plötzlich gerade verläuft und an der linken Seite von weissen Strichen und einer anderen, meist ebenso geraden und mehrspurigen Strasse benachbart wird. Zur rechten befindet sich eine dicke, weisse und durchgezogene Linie, die nach einer gewissen Strecke mit elegantem Schwung zu besagter Strasse hinführt. Auf der besagten Strasse befinden sich oft andere Autos, ab und zu auch nicht, und hinter dem nun urplötzlich geradeaus fahrenden Wagen trottet ein anderer hinterher; am Steuer dieses zweiten Wagens sitzt euer WAWUZ (Wirklich Ausgeflippter Webmaster Unter Zeitdruck). Aus dieser alltäglichen, mehrfach morgens und abends vorkommenden Ausgangssituation ergeben sich nun mehrere mögliche Szenarien.

Die harmloseste Möglichkeit: der Fahrer des führenden Wagens entdeckt die gerade Stelle; messerscharf schliesst er dass es hier keine Fliehkräfte mehr gibt und mithin kein Risiko aus der (nicht mehr existenten) Kurve getragen zu werden. Er gibt Gas. Das mag angemessen geschehen oder auch mehr oder minder übertrieben. Solange eine gewisse, subjektiven Einflüssen unterliegende Mindestbeschleunigung eingehalten wird, ist beides für den WAWUZ akzeptabel; grundsätzlich interessieren ihn schnellere Autos vorne ebenso wenig wie langsamere hinten.

Kritischer wird es wenn die Beschleunigung auf dem Streifen vergessen wird. Dann geht es mit dem routiniert aus der Auffahrt mitgenommenem Schwung und relativ konstanten 50 oder 60 km/h geradeaus und dann eine Spur nach links. Bei lockerem Verkehr und wenn der Linksrutsch gegen Ende des Beschleunigungsstreifens kommt ist auch das in Ordnung. Bis dahin hat der WAWUZ seine eigene Lücke gefunden, sich zwei Spuren nach links geblinkt und hebelt sich, mit 400 Meter Vorsprung und dann wieder auf der rechten Spur, gemächlich in den vierten Gang um die Verbrauchsanzeige vom rechten Anschlag runter zu wickeln.

Leider läuft es oft anders. Der Beschleunigungsstreifen wird dann nämlich weder zur Beschleunigung noch zum Streifen benutzt, ja seine schiere Existenz wird verleumdnet. Die Auffahrt ist zu Ende, die Strasse ist mehr oder weniger frei - also ab nach links. Beschleunigung? Fehlanzeige. Linksaussen ist dann meistens auch besetzt, im Zweifelsfall von Fahrern die im Interesse der Schadensvermeidung die Spur gewechselt haben. Im Wagen dahinter steht eine Entscheidung an. Das Tier im WAWUZ meint "Junge, das Ding hier heisst Beschleunigungsstreifen, also beschleunige auch!" Rechts vorbei, das Triebwerk gnadenlos in den Drehzahlbegrenzer gehetzt, weiter vorne lässig den Dreimal-Blinker angetippt und souverän in den Sonnenuntergang (morgens: Sonnenaufgang) ziehen. Aber der WAWUZ ist halt tierlieb und ausserdem mag er seinen Führerschein gerne. Also öttelt er brav hinter dem rechten Kotflügel her, natürlich unter Einhaltung des gesetzlichen Mindestabstands, bis der B-Streifen zu Ende ist, geht dann auch nach links, so denn gerade Platz ist, und versucht, während er die nächste Lücke abwartet, sich das Kennzeichen des Vorausfahrenden zu merken. (Die Rechnung über die Abnutzung zerknirschter Zähne hat er aber nie wirklich geschickt.) Links ziehen indessen Sattelzüge, Smarts und eine Kamelkarawane vorbei, während der Vordermann behutsam nach dem Gaspedal sucht.

Den Extremstfall - anhalten, über die Schulter schauen, langsam anfahren und dann gleich links rüberziehen - lassen wir jetzt mal aus. Obwohl schon beobachtet, kommt der glücklicherweise nur sehr selten vor; die Reaktionen des WAWUZ könnten in einem solchem Fall durchaus strafrechtlich relevant werden.


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